Habt ihr euch auch schon immer gefragt, wie es wohl in der Werkstatt von Meister Eder geduftet haben muss? Wie gemütlich es wohl in den viel besungenen Weihnachtsbäckereien sein muss? Wie es sich anfühlt, auf Wolke Sieben zu liegen?
Die Reifendrehstuben aus dem sächsischen Seiffen haben genau diese Sinnesangebote auf Lager. Reifen drehen ist ein uraltes Handwerk, das tatsächlich um 1800 in Seiffen erfunden wurde und bis heute dort gefeiert wird. Da man nur pitschnasses, in Wasser gelagertes Holz zum Reifendrehen verwenden kann, strömen die ätherischen Öle direkt über die Klinge des Drechseleisens in die Nase eines jeden, der gerade in der urigen Holzwerkstatt steht. Oder vielleicht auch liegt — ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie unfassbar weich und einladend die riesigen Haufen an Drechsellockenaussehen. Wellig und geschmeidig strömen auch diese über die Klinge des Drechslers, sammeln sich auf dem alten Dielenboden und formen sich zu einem Sehnsuchtsort eines jeden Profimittagsschläfer. Ihr merkt schon — bei uns an der Fakultät für Angewandte Kunst darf man ruhig auch mal im siebten Semester vor Wolke Sieben stehen und einfach nur über die Präzision staunen, die die kontrollierten Bewegungen eines professionellen Reifendrehers hervorbringen.

Mittagsschlaf auf Drechsellocken in 3…2…1… (photo by Josef Ehnert)

Holz ist allerdings manchmal etwas tückisch. So kann der gedrechselte Ring nie unversehrt am Stück benutzt werden. Wenn das nasse Holz in der warmen Drechselstube anfängt, zu trocknen, weiß manchmal nicht, was lauter ist: der knarzende Fußboden, oder die reißenden Holzringe? Der banale Druck, mehr Holzfiguren in weniger Zeit zu produzieren, war im 19. Jh. der Antrieb, das Reifendrehen in Seiffen zu entwickeln. Anstatt jede Holzfigur einzeln zu schnitzen oder zu sägen, drechselte man einen großen Holzring mit der Kontur der Figur uns spaltete dann in Salamitaktik zahlreiche, identische Figürchen von einem gedrechselten Objekt ab.

Wie aus einem Trichter 40 Giraffen werden. (photo by Josef Ehnert)

Ab Oktober 2021 hatte das siebte Semester die Aufgabe, das Reifendrehen mit seinen Einschränkungen und Vorzügen auf die Moderne anzuwenden. Wie immer kam bei dem Design Freeze (Festlegung auf ein konkretes Design) im November kein Entwurf heraus, der einem anderen glich. Ausgehend von den Skizzen der Studierenden, wurden anschließend die unterschiedlichsten, benötigten Reifenprofile in Seiffen gedreht. Wenn wir uns daran erinnern, dass das Rohmaterial für die Reifenherstellung im Wasser gelagert wird, könnte man die eingefrorenen Stämme im Dorfteich durchaus auch irgendwie als Design Freeze bezeichnen. Der Umsetzungsprozess wurde dadurch zwar wetterbedingt etwas verzögert, aber gut Ding braucht eben Weile: ob bei Meister Eder an der Hobelbank, bei den Wichteln in der Weihnachtsbäckerei oder im Atelier der Holzgestaltung in Schneeberg.

 

arc — by Jakob Thiesbrummel (Slideshow)
Durch die Auseinandersetzung mit dem Reifendrehen sind einfache und gut stapelbare Formen entstanden. Ein extrudiertes Plus wird mit Acrylringen ergänzt, um das Stapeln noch vielfältiger zu gestalten.

 

Kluft — by Emelie Kunz (Slideshow)
Die Garderobe KLUFT besteht aus dem Viertel eines gedrehten Reifens und einem Metallring welcher in verschiedenen Farben erhältlich ist. Der Metallring nimmt den Durchmesser des Reifens auf und überbrückt das fehlende Kreissegment. So ergibt sich eine Vielzahl an Möglichkeiten die Garderobe zu bestücken.

 

Reifenring — by Kristin Kuntze (Slideshow)
Die als Reifen gedrehten Motive finden formschlüssig auf dem Reifenring Platz. Die beidseitige Nutzbarkeit lässt außerdem eine individuelle Bestückung sowie Gestaltung des Kranzes zu: mit und ohne Kerzen. 

 

Tara — by Dennis Neumann (Slideshow)
Tara ist ein Steckspielzeug für Kinder zwischen vier und sieben Jahren. Es besteht aus 12 halben Reifen, sowie sechs Tetraeder, welche als Verbindungselement dienen. Die Verbindung wird durch stark haftendes Klettband garantiert.

WIP — by Josua Sobe 
WIP ist ein Stapelturm, bestehend aus drei Teilen. Die gewölbte Form der Elemente sorgt für einen unsicheren Stand und macht es zu einem interessanten Geduldsspiel.

 

Cracks — by Jan-Erik Schützhold
Durch die Schnürung des brüchigen Reifens auf einer Steinscheibe, wird ein Gefäß erzeugt, das sich als tiefe Schale oder umgekehrt als erhöhte Fläche zum Anrichten nutzen lässt. Hier wird das Holz in seinem (hin-)reißenden Trocknungsprozess, sowie das außergewöhnliche Handwerk des Reifendrehens gefeiert.

 

Das Schaf — by Mira Müller
Durch zahllose Oberflächenadaptionen der klassischen Form soll das Handwerk des Reifendrehens auf eine ästhetische und eigensinnige Art gehuldigt werden. Entstanden sind ca. 40 verschiedene Exemplare.

 

Autor: Arne Jäkel
Gepostet in Holz