Ich erinnere mich nur, wie die Jungs mit einem oh shit! in Phillipps Auto sprangen und davondüsten. Arne hatte sein Auto auf dem Weg zu unserer Unterkunft in den Graben gefahren. Der Regen der den Feldweg aufgeweicht hatte, begrüßte uns auf diese Art.


Zu Semesterbeginn im September waren wir, das 3. Semester der Schneeberger Holzgestaltung, in das nordhessische Städtchen Gudensberg mitsamt seiner malerischen Fachwerkhäuser eingeladen worden, um in nun mehrjähriger Tradition „Sitzbänke“ aus einheimischen Eichenstämmen zu sägen.
Seit einigen Jahren stellt die Gemeinde dieses großzügige Angebot zur Verfügung. 
Innerhalb einer Woche sollen acht ausgefallene, formal simple oder auch verspielte, Sitzgelegenheiten für den öffentlichen Raum vor Ort entstehen. Zunächst bekamen wir eine kleine Stadtführung, auf der wir bereits einige Sitzbänke unserer Vorgänger zu Gesicht bekamen, bestaunten den historischen Stadtkern und die schiefen Häuschen, sowie die beeindruckende Aussicht vom Schlossberg auf das hügelige Umland.


Wie in der Werbung. © Phillipp Busch
Säge, Späne. © Phillipp Busch

Die folgenden Tage verwandelten sich dann schnell in eine abgefahrene Mixtur aus Motorenlärm, Club Mate, Kettenfett und dampfenden Kartoffeln. Gebbi, unser Projektleiter, hatte uns eine kurze Einweisung in die fachgemäße Verwendung der Kettensägen, dem uns noch nicht allzu vertrauten Schnitzwerkzeug der King-Kong-Klasse, gegeben, und fuhr mittlerweile fröhlich über unseren Platz und gabelstapelte riesige Baumstämme hin- und her.
Indessen hatte sich jeder ein Exemplar ausgesucht und tastete sich mehr oder weniger verlegen an die Geschichte heran. 
Ein Paar Schnitte hier, ein paar Schnitte dort. Schnitte, die auch gerne mal daneben gingen. Mal fluchte jemand, ständig waren irgendwelche Sägeblätter stumpf, und die Maschinen schluckten mehr Benzin als wir unsere Mate. Man kam kaum hinterher mit dem nachtanken. Die Baumstämme entpuppten sich zusehends als rundgedrechselte Kegel, als Oktopus, Strukturexperiment oder zerquetschte Zahnpastatube. Gebbi gab sich als Kettensägenexperte beste Mühe, uns bei Bedarf unter die Arme zu greifen und bei Fragen zur Seite zu stehen. Es war erstaunlich, mit welcher Präzision er die Maschinen beherrschte.

Nachtanken. All day. © Lino Ehrenstein

Es gab seltene, beinahe heilige Momente der Stille, in denen alle im Schatten die Pause genossen, und dabei etwas nachdenklich auf die Hügel und Felder in der Ferne blickten. Irgendein Halunke kam immer auf die Idee, genau dann eine Kettensäge anzuwerfen und loszudröhnen, nur um von den anderen wütend mit Ästen und Feuerzeugen beworfen zu werden.

Während der Vorbereitung der Baumstämme. © Phillipp Busch

Mittags gab es jeden Tag eine warme Mahlzeit im Schützenhaus, auf dessen Grundstück wir unsere Kettenparty feierten, während abends am Lagerfeuer gemeinsam gekocht, geplaudert und gegrillt wurde. Wären nach dieser spannenden Woche nicht sämtliche Muskelgruppen vom Kettensägen malträtiert, die Ohren voller Sägespäne und die Nasen voller Dieseldämpfe gewesen, wären wir gewiss noch länger in Gudensberg verweilt. 
Doch das Semester wartet nicht. 
Und ebenso wenig der Gabelstapler, um die fertigen Sitzbänke abzuholen.

Sägen mit Aussicht. © Lino Ehrenstein
Der Oktopus und die Mate-Flasche. © Lino Ehrenstein

 


Autor: Lino Ehrenstein
Gepostet in Holz